Bernhard Ailinger - Artist

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Die Überwindung des Gegenstandes durch Malerei

Notizen zum Werk von Bernhard Ailinger

Von Dr. Gerhard Charles Rump

 

Das Kunsterlebnis kann auch durch erweiterndes Hintergrundwissen entscheidend verstärkt werden. Das gehört zum Kunst-Diskurs dazu, und ohne diesen gibt es ohnehin keine Kunst. (1) In diesem Sinne vertieft sich das Erlebnis der Malerei von Bernhard Ailinger, wenn man weiß, dass sein Erfahrungshintergrund wesentlich vom Bau und von der Architektur geprägt ist. Seine Bilder haben nämlich mit all dem, was wir gemeinhin mit Baukunst assoziieren, kubische Klarheit, logische Abfolgen von Transparenz und Masse, Last und Stütze etwa, rein gar nichts zu tun. Und das macht die Stellung seiner Kunst als betonte, ausdrucksorientierte Malerei, die sich dem Primat des Bildes verschrieben hat, besonders deutlich. (2)

 

Dass Bernhard Ailinger, obwohl seine Bilder aus einem existenziellen Farbgestus heraus entstehen, dabei dem Gegenstand verbunden bleibt, wenn auch in zwangloser Form, ist nicht wirklich widersprüchlich. Unabhängig davon, dass das auch und gerade in expressiver Malerei Tradition hat und historisch wie konzeptuell unabhängig von der jüngeren Überlieferung des abstrakten Expressionismus dasteht, gibt es kein Gesetz im Kodex des Kreativen, das Künstler zu irgendetwas zwingt. Auch nicht, die Erwartungen des Betrachters zu erfüllen. Umgekehrt wird da noch viel eher ein Schuh draus: Erwartungsdurchbrechung ist Stil und so ein ständiger Transformationsvorgang und erregt stets Aufmerksamkeit. (3)

 

Wir setzen uns im Alltag mit Abstraktem auseinander, mit Haltungen, Meinungen, Gefühlen, Anmutungen. Aber eben auch mit Dingen, von der Kaffeetasse über das Auto zum Mitmenschen. Es wäre eigenartig, träfen wir in der Kunst da auf ganz andere Verhältnisse. Bernhard Ailingers Auseinandersetzung mit dem Gegenstand respektiert ihn, überwindet ihn jedoch durch Malerei. Gegenstandsarrangements werden zu Bildern.

 

Der Maler kann sich dem Gegenstand nähern mit durch Farbe ausgefüllter Umrisslinie ("disegno"), was zum Beispiel Nicolas Poussin getan hat, oder ihn aus dem Helldunkel ("chiaroscuro") heraus seine Gestalt finden lassen, wie Rembrandt. Farbige Fläche als Synonym für solides Volumen kann sich auch von der durchaus wiedergegebenen Umrisslinie lösen und zu ihr in ästhetischer Spannung stehen, wie etwa bei Monika Sigloch (4), oder der Maler schafft ein Bild mit Gegenständen, das sich wie magisch aus autonomen malerischen Gesten zusammenfügt. Das ist der Fall bei Bernhard Ailinger.

 

Der Prozess läuft aber nachvollziehbar anders ab als bei sonstigem peinture-haftem Vorgehen, bei dem etwas durch zum Teil dienend gesetzte "cluster" (Verdichtungen) von Farbmarkierungen entsteht oder sich aus dem Gestus des Malens heraus formidentisch präsentiert: Hier steht der autonome Ausdrucksgestus in Farbe als Werkspur da, und der Betrachter leistet die "Arbeit des Sehens" (5), deren Ergebnis das Kunsterlebnis mitbestimmt und das Bild konstitutiert. (6)

 

Die Linien und anderen ästhetischen Formen, durchaus zur Autonomie neigend, zeigen sich in Bernhard Ailingers Bildern selbstbestimmend als Spuren von malerischen Gesten. Im Komplex des Bildfeldes treten sie in visuelle Beziehungen zueinander, die den Gegenstand, ein Porträt, eine Figur entstehen lässt, mal lockerer, fließender, mal stärker verdichtend. In jüngeren Arbeiten ist eine Häufung von Bildgesten zu sehen, die gleichsam in einem Wurf das Bildganze formulieren und Details zu Gunsten des farblichen Ausdrucks aufgeben. Vielfach handelt es sich dabei, gerade in Papierarbeiten, um explizit gewählte Ausschnitte, die dann in ihrer konkreten Fragmenthaftigkeit zum virtuellen Ergänzten in einen spannungsvollen Widerstreit geraten, der für die ästhetische Belebtheit des Bildes sorgt.

 

Ebenfalls beanspruchen malerische Gesten die Erfahrung des Betrachters, die zur Konstitution des Gegenstandes nichts, aber zum ausdruckshaften Bildklang sehr viel beitragen. An ihnen gemessen erscheint der Gegenstand, etwa das Antlitz eines Porträtierten, fast wie eine Trotzreaktion. Insofern vollzieht sich in den Bildern Alingers stets ein energetisches, ästhetisch-visuelles Wetteifern, dass wie ein Doppelstern um den gemeinsamen Schwerpunkt der Frage nach dem Bilde kreist. Das wird dann in Arbeiten verstärkt, in denen die geometrische Analyse der Grundform des Bildgegenstandes Teil der malerischen Gesten wird, eine den Anspruch und die Tiefe des analytischen Kubismus transzendierende Vorgehensweise, die Zugänge zu Meta-Ebenen ermöglicht, zu höheren Ebenen erweiterten Bildverständnisses.

 

Aber für Ailinger ist der Bildkorpus nur ein Ausschnitt aus einem größeren Ganzen, was sich darin zeigt, dass die Malerei sich über die Begrenzungen des Leinwandformats hinaus begibt und einen Index bietet auf das, was man als das Umfassendere zu verstehen hat, was sich letztlich in die Welt weitet. (7) Das bedeutet, dass die lebenswichtigen und schwerwiegenden philosophischen Dualismen wie Begrenztheit/Unbegrenztheit und Individuum/Welt mit thematisch werden.

 

Porträt, Figur, Paare, Christus und Mythologisches sind Ailingers hauptsächliche Themen, also nicht unbedingt Landschaft oder Stillleben. Er bewegt sich zwischen dem Nahen und Kleinen (wie es etwa ein Stillleben darstellte) und dem ganz Großen, etwa der Landschaft, also in dem Bereich, in dem Erfahrung, Aktion und Reaktion in Kunst und Leben sich hauptsächlich abspielen. Der Lebensraum als Handlungsraum wird zum Bildraum umgeformt und steht jenem gleichberechtigt gegenüber. Das hat etwas Metaphorisches.

 

In einigen Gemälden begegnet dem Betrachter eine dynamisch verdichtete Gestaltung, die an Walter Stöhrer (1937-2000) erinnern mag. Die Ähnlichkeit beschränkt sich aber auf den dynamischen Duktus, denn Stöhrer hat vorwiegend Fläche verlebendigt, wohingegen Ailingers malerische Gesten Figurales entstehen lassen. Diese Figuren können auch ein selbstreferentielles (8) Moment akzentuieren, indem ihre Formchiffren sich in unterschiedlichen Medien, etwa linear vs malerische Spur, wiederholen, um so in ästhetischer fragmentarischer Distribuiertheit von der Ganzheit der Form zu zeugen.

 

Ein Charakteristikum im Œuvre von Bernhard Ailinger ist die Spannung zwischen Linie und Fläche als Farb-Bahn, zwischen "Zeichnung" und Malerei. Puristen mögen diese Koexistenz mit Argwohn beäugen, aber schon Kandinsky hat klargestellt, dass die Linie auch ein Malerisches Element ist. (9) Diese beiden Elemente dienen einander häufig als Echo, kommentieren sich gegenseitig im Malverlauf, existieren aber auch in unabhängiger, eigenwertiger Form und die so entstehende farbige wie formale Vielfalt steht für die Kraft von Ailingers ästhetischer Vision.

 

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(1) Vgl. z. B. die Haltung von Romano Guardini: Über das Wesen des Kunstwerks. Wunderlich, Tübingen 1954

 

(2) Und es zeigt auch, dass Biografisches in der Kunst selten wesentlich ist

 

(3) Vgl. hierzu u. a. Walter A. Koch: Varia Semiotica. Olms, Hildesheim, New York 1971, bes. pp. 200 ff, 377 ff, 447 ff, 462 ff

 

(4) Vgl. Marion Zipfel: Auf Schwäbisch: Monika Sigloch und ihre kräftige Farbkunst, in: DIE WELT, 13. Februar 2010, Seite W5

 

(5) Konrad Fiedler: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit. In: Schriften zur Kunst I. Piper, München 1914

 

(6) Vgl. hierzu auch Heinz Jatho: Bildsemantik und Helldunkel. Ein Beitrag zur Bildsemiologie. (Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste. Texte und Abhandlungen; 38), Fink, München 1976

 

(7) Das ist ein ewiges Thema in der Malerei, und ist sehr prominent ausgeführt worden in der flämischen Tradition der Überschau-Landschaft (z. B. Rubens, Landschaft mit Schloss Steen, National Gallery, London). Vgl. etwa Wolfgang Klien: Der Siegeszug der Landschaftsmalerei: Eine Entwicklungsgeschichte der Landschaftsmalerei in Europa. Jahn und Ernst, Hamburg 1990

 

(8) Vgl. Douglas R. Hofstadter: Gödel, Escher, Bach. An Eternal Golden Braid. Basic Books, New York 1979

 

(9) Vgl. Wassily Kandinsky: Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente. Benteli, Bern 3. Aufl. 1955 (zuerst erschienen als Bauhaus-Buch Nr. 9, München 1926)